Physiknobelpreis 1901: Wilhelm Conrad Röntgen

Physiknobelpreis 1901: Wilhelm Conrad Röntgen
Physiknobelpreis 1901: Wilhelm Conrad Röntgen
 
Der deutsche Physiker wurde für das außerordentliche Verdienst ausgezeichnet, das er sich durch die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen erworben hat.
 
 
Wilhelm Conrad Röntgen, * Lennep (bei Remscheid) 27. 3. 1845, ✝ München 10. 2. 1923; 1875 Professor der Mathematik und Physik an der Landwirtschaftlichen Akademie zu Hohenheim, 1876-79 Professor für theoretische Physik in Straßburg, Ordinarius in Gießen, ab 1880 in Würzburg und 1900-20 in München; entdeckte 1895 zuvor nie registrierte elektromagnetische Wellen.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Knochenbrüche und andere Verletzungen in Kriegs- und Friedenszeiten werden seit nahezu 100 Jahren mithilfe von Röntgenaufnahmen diagnostiziert und seit den 1920er-Jahren gehören entsprechende Apparaturen zur Standardausrüstung vieler Arztpraxen. Schon kurz nach 1900 wurden Kontrastmittel verabreicht, um die Gefäße des menschlichen Körpers darstellen zu können. Nachdem gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunächst erkrankte Hautoberflächen und Entzündungen mit Röntgenstrahlen behandelt wurden, rückten später insbesondere Tumore in den Mittelpunkt dieser Behandlungsart. Dabei ermöglichen die spezifischen Dichten von Knochen, Gewebe, Weichteilen und körperfremden Gegenständen und die damit verbundene unterschiedliche Durchlässigkeit von Röntgenstrahlen deren Verwendung für medizinische Diagnostik und Therapie. Dem bloßen Auge verborgene, etwa von Haut, Muskel- und Fettgewebe verdeckte Bereiche aus dem Körperinneren können abgebildet werden.
 
 Entdeckung einer neuen Art von Strahlen
 
Als »X-Strahlen« bezeichnete Wilhelm Conrad Röntgen die von ihm am 8. November 1895 erstmals bemerkte »neue Art von Strahlen«. Doch schon im Januar des Folgejahrs schrieb die »Wiener Zeitung«, dass man sie »wohl Röntgensche Strahlen nennen« dürfte.
 
Röntgen hatte mit den zwar bekannten, aber noch nicht als Elektronen identifizierten Kathodenstrahlen experimentiert. In Gasentladungsröhren — luftdicht verschlossenen Glaskolben, in deren Wand Platinelektroden eingeschmolzen waren, und die sich mit geeigneten Gasen füllen ließen — legte man eine Spannung an; so wurde die Elektrizitätsleitung in den Röhren beobachtbar. Herrschte darin zudem ein Druck von nur wenigen Millionsteln der Atmosphäre, so wurden darin auch Funken- und Glimmentladungen sichtbar.
 
Von der negativen Elektrode (Kathode) ausgehend prägte der Astrophysiker Eugen Goldstein im Jahr 1876 den Begriff »Kathodenstrahlen«. William Crookes zeigte wenig später, dass diese Strahlen eigentlich Materieteilchenstrahlen sind. Heinrich Hertz wies die Eigenschaft dieser Teilchen nach, Elektrizität zu transportieren. Aber erst in den 1890er-Jahren klärte sich schließlich, dass es sich um ein Bombardement aus kleinsten elektrisch geladenen Teilchen, den Elektronen, handelte.
 
Hertz hatte bei seinen Experimenten bemerkt, dass dünne Metallschichten von den Kathodenstrahlen durchschossen werden können. Sein Assistent Philipp Lenard (Nobelpreis 1905) verfolgte dieses Phänomen weiter. Durch den Einbau einer wenige Tausendstel Millimeter dicken Metallfolie in die Röhrenwand, das so genannte »Lenard-Fenster«, konnte er die Kathodenstrahlen aus der Röhre ablenken. In der Luft waren sie allerdings nur kurze Zeit erkennbar, weshalb Lenard für genauere Untersuchungen einen weiteren Glaskörper an die Austrittsstelle setzte. Lenards Versuchsergebnisse wurden von vielen interessierten Physikern — darunter auch Röntgen — reproduziert.
 
Nach etwa 18 Monaten des Experimentierens bemerkte Röntgen eher zufällig als nach planmäßigen Bedingungsveränderungen im Versuchsaufbau die X-Strahlen. Es war ein für die Experimente zunächst bedeutungsloses Stück Papier, das zum Nachweis der »neuen Art von Strahlen« führte. Dieses Papier war mit einem Material bestrichen, das im ultravioletten Licht oder den Kathodenstrahlen ausgesetzt fluoresziert. Als Röntgen eine für Licht undurchdringlich umhüllte Lenard'sche Röhre betrieb, zeigten sich auf dem unbeabsichtigt daneben liegenden Papier Leuchterscheinungen, obwohl das Labor abgedunkelt und die Röhre mit schwarzer Pappe abgeschirmt war. Dieser Effekt musste von unbekannten Strahlen herrühren, die — wie Röntgen feststellte — dort entstanden, wo die Kathodenstrahlen auf die Materie der Röhrenwand prallten.
 
 Röntgenfieber
 
Röntgens erste Veröffentlichung über diese Strahlen lässt erahnen, wie er versuchte, Näheres zu seiner Entdeckung zu erfahren. Er hielt verschiedene Gegenstände zwischen Röhre und Schirm, um zu sehen, welche Materialien für die seltsame Strahlung transparent sind: Papier, Holz, dann Blei, das sich als undurchlässig für diese Strahlen erwies, und schließlich wohl seine Hand. Dabei wurden deren Knochen dunkler als das sie umgebende Gewebe abgebildet. Als Röntgen die X-Strahlen daraufhin auf Fotoplatten lenkte, entstanden erste Röntgenbilder: ein Jagdgewehr, ein Holzkasten mit Metallgewichten oder die Hand seiner Frau, deren Ring um den Knochen zu schweben scheint. Am 1. Januar 1896 verschickte er die Bilder mit einem vorläufigen Bericht über seine Entdeckung an etwa 100 Adressen. Innerhalb weniger Tage wurde die Aufsehen erregende Nachricht von Röntgens neuen Strahlen über Tagespresse und Telegrafie weltweit verbreitet. Neben den von Ärzten schnell erkannten Möglichkeiten, die X-Strahlen zur medizinischen Diagnostik und Therapie zu benutzen, waren der Fantasie mancher Zeitgenossen kaum Grenzen gesetzt. Das »Röntgenfieber« sorgte für vielerlei Kuriositäten. An etwaige Nebenwirkungen der Strahlen dachte dabei kaum jemand, obwohl die Bestrahlung mit hohen Dosen über mehrere Minuten zu Hautrötungen, bleibenden Hautschädigungen oder Haarausfall führte. Es wurde sogar vorgeschlagen, Bärte, anstatt sie zu rasieren, den X-Strahlen auszusetzen.
 
Neben den medizinischen Anwendungen sind heute vor allem die Röntgenstruktur- und -spektralanalyse zu nennen, die beispielsweise in Biologie, Astronomie und Archäologie Stoffeigenschaften, Alter und Herkunft entsprechender Objekte zu klären helfen. Diese Methoden konnten entwickelt werden, nachdem 1912 Max von Laue (Nobelpreis 1914) Röntgenstrahlen als zum elektromagnetischen Wellenspektrum gehörig identifiziert hatte.
 
 Kein Vortrag vom Preisträger
 
Den ersten Nobelpreis für Physik wollte man mit größtmöglicher Akzeptanz vergeben; es ging auch um das Ansehen dieses neu zu etablierenden Wissenschaftspreises. Das zuständige Komitee beschloss, wie in den Kategorien Chemie und Medizin, auch seinen Preis bei der ersten Vergabe nicht zu teilen. Denn eine ebenso in Betracht gezogene gemeinsame Ehrung Röntgens und Lenards wäre brisant gewesen, zweifelte doch Lenard Röntgens Entdeckerpriorität an. Röntgen, der seine Entdeckung zum Wohl der Allgemeinheit nicht zum Patent anmeldete, erhielt somit am 10. Dezember 1901 als alleiniger Preisträger den Nobelpreis für Physik. Den von ihm erwarteten Vortrag hat er nicht gehalten. Lenard wurde vier Jahre später mit dem Nobelpreis bedacht.
 
R. Seising

Universal-Lexikon. 2012.

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